Beurteilung eines Kutschenunfalls von Dr. Evelin Bent-Moers

22-09-17 Birgit Dohmen 0 Kommentare

Was war geschehen

 

Im Rahmen eines Volksfestes führte ein gewerblicher Kutschenführer im Auftrag des Veranstalters mit einem Planwagen einen Shuttle-Service für die Besucher des Festes durch.

 

Während eines Stopps der Kutsche zum Aus- und Einsteigen der Fahrgäste verließ der Kutschenführer den Kutschbock. Die Handhabung der Leinen und der genaue Standpunkt des Kutschers blieben ungeklärt. Seine Tochter, die als erfahrene Beifahrerin diente, half den Gästen am hinteren Teil des Planwagens beim Ein- und Aussteigen. Zu diesem Zeitpunkt gingen die Pferde, zwei Rheinische Kaltblüter, aus unbekannten Gründen mit dem Planwagen durch. Sie bogen auf eine vielbesuchte Zufahrtsstraße mit Verkaufs- und Imbissständen ab und rissen eine Absperrung, Tische und Stühle mit. 26 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt.

 

Die gutachterlichen Stellungnahmen

 

Ein durch die ermittelnde Polizeibehörde in Auftrag gegebenes erstes Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass die Feststellbremse der Kutsche nicht betätigt worden war. Nach Aussage eines Zeugen drehten sich die Räder der Kutsche mit den durchgehenden Pferden. Ferner sei das Absteigen vom Kutschbock an dem Haltepunkt fehlerhaft gewesen. Es wurde das Fehlen von Scheuklappen kritisiert und die Qualifikation des Kutschenführers (Dt. Fahrabzeichen Kl. IV) in Frage gestellt. Bei Berücksichtigung aller aufgeführten Fehler sei der Unfall vermeidbar gewesen.

 

Die Staatsanwaltschaft erhob daraufhin Anklage wegen fahrlässiger Körperverletzung.

 

Aus hier nicht näher zu erläuternden Gründen wurde von richterlicher Seite ein zweites Gutachten angefordert. Auch diese Ausarbeitung kam zu dem Schluss, dass das Absteigen vom Kutschbock eine Pflichtverletzung darstellte. Es wurde jedoch erläutert, dass es zu den ureigenen Merkmalen eines durchgehenden Pferdes gehört, in diesem Moment nur noch seinem Fluchtinstinkt zu folgen und eben nicht mehr für menschliche Kommandos empfänglich zu sein. Demnach muss es spekulativ bleiben, inwieweit der Kutschenführer auf das Geschehen hätte einwirken können, wenn er den Kutschbock nicht verlassen hätte.

 

Unter Berücksichtigung von physikalischen Gegebenheiten konnte ferner herausgearbeitet werden, dass es durchaus möglich gewesen war, dass die Feststellbremse betätigt wurde und die Räder der Kutsche sich dennoch drehten und, dass die Pferde stark genug waren, den Planwagen auch mit blockierten Rädern über eine längere Strecke wegzuziehen. Das Nicht-Verwenden von Scheuklappen wurde als nicht sicherheitsrelevant eingestuft.

 

Es konnte nicht gefolgert werden, dass der Unfall bei pflichtgemäßem Verhalten vermeidbar gewesen wäre. Die Ursache für das Durchgehen der Pferde wurde nicht ermittelt und durch den ausgelösten Fluchtinstinkt und die Kraft der Pferde kam es zur Realisierung der tierspezifischen Gefahr.

 

Zum Ergebniss

 

Laut Veröffentlichungen in der örtlichen Presse, folgte die Staatsanwaltschaft dem zweiten Gutachten in vollem Umfang und nahm die Anklage zurück. Eine Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung sei nur möglich, wenn festgestellt werden kann, dass der Unfall bei ordnungsgemäßen Verhalten vermeidbar gewesen wäre.

 

 



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