Urteil des BGH Rittigkeitsprobleme kein Sachmangel

08-09-20 Birgit Dohmen 0 Kommentare

Oft enden Reklamationsfälle vor Gericht, wenn nach einem Pferdekauf die neuen Besitzer zunehmend Schwierigkeiten mit der Neuerwerbung bekommen und das Pferd mit dem Argument „unrittig“ zurückgeben möchten. Gerne werden dann „Kissing Spines“ als Ursache angeführt. Doch so einfach ist es nicht, wie der Bundesgerichtshof kürzlich in einem richtungweisenden Urteil feststellte.Zu Hause angekommen, beweist sich das neu erworbene Wunderpferd zuweilen auch nur als allzu irdisches Geschöpf. Der neue Hoffnungsträger nötigt dem Ausbilder mehr Einsatz ab, als erwartet und zeigt sich nicht so rittig, wie erhofft. Nicht selten reut den Käufer dann der teure Neuerwerb und er gäbe ihn gern zurück. Das naheliegende Argument: unrittig. Mit einem richtungweisenden Grundsatzurteil setzte der Bundesgerichtshof (BGH) im Mai dieses Jahres nun endlich einen Meilenstein für die Beurteilung derartiger Fälle.Der FallGestritten wurde über einen Wallach, der fünfjährig über eine Reit-pferdeauktion versteigert worden war. Die Käuferin hatte offenbar großen Gefallen an diesem Pferd gefunden, das vor der Versteigerung bereits auf Turniererfolge verweisen konnte und nun für einen stol-zen Preis in ihren Besitz gewechselt war. Im heimatlichen Stall jedoch zeigte sich, dass die großen Hoff-nungen, die in diese Neuerwerbung gesetzt worden waren, sich nicht erfüllten. Die Tochter nämlich, für deren Reitsportkarriere das Pferd erworben worden war, kam mit dem Pferd nicht zurecht. Das Pferd habe „gravierende Rittigkeitsprobleme“, begründete die Käuferin dann ihr Begehren, das Pferd zurück geben zu wollen. Ursache der Widersetzlichkeit seien verengte Dornfortsätze der Wirbelsäule (sog. „Kissing Spines“). Die Sache kam vor Gericht. Während vor dem Landgericht die Klage als unbegründet abgewiesen worden war, wendete sich das Blatt in der nächsten Instanz zum Vorteil der Klägerin. Das Berufungsgericht war von den Vorträgen namhafter Zeugen ob der Rittigkeitsprobleme des Pferdes so beeindruckt, dass es der Klägerin Recht gab. Doch der Beklagte, die Oldenburger Pferde-Vermarktungs GmbH in Vechta, wollte sich mit diesem Urteil nicht abfinden und ging in Revision. Und das mit Erfolg und völlig im Sinne einer vernünftigen und sachgerechten Entscheidung. Der BGH hob das Urteil der Vorinstanz auf und verwies den Fall an des Oberlandesgericht zurück.

Ein Grundsatzurteil am 27. Mai 2020 fällte der Bundesgerichtshof in dieser Sache ein richtungweisendes Urteil (VIII ZR 315/18, BGB § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 2), indem er klarstellt: „Rittigkeitsprobleme durch von einem Reitpferd gezeigte Widersetzlichkeiten sind keine Mangelerscheinung.“ Allerdings immer vorausgesetzt, es gibt keine klinischen Gründe für das Rittigkeitsproblem, die schon beim Kauf, also bei Gefahrenübergang, vorgelegen haben müssen.Was unter Pferdeleuten schon immer völlig unstrittig war, hat nun endlich auch die höchste deutsche Gerichtsbarkeit klargestellt. Und zwar unmissverständlich. In der Urteilsbegründung heißt es: „Entspricht die Rittigkeit eines Pferdes nicht den Vorstellungen des Reiters, realisiert sich für den Käufer – wenn nicht klinische Auswirkungen hinzukommen – daher grundsätzlich lediglich der Umstand, dass es sich bei dem erworbenen Pferd um ein Lebewesen handelt, das – anders als Sachen – mit individuellen Anlagen ausgestattet und dementsprechend mit sich daraus ergebenden unterschiedlichen Risiken behaftet ist.

“Verkäufer haftet nur begrenzt”

Nach Ansicht des BGH habe der Verkäufer eines Tieres, sofern eine anderslautende Beschaffenheitsvereinbarung nicht getroffen wird, lediglich dafür einzustehen, dass es bei Gefahrübergang nicht krank ist und sich auch nicht in einem vertragswidrigen Zustand befindet, „aufgrund dessen bereits die Sicherheit oder zumindest die hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass es alsbald erkranken wird und infolgedessen für die gewöhnliche (oder die vertraglich vorausgesetz-te) Verwendung nicht mehr einsetzbar wäre“. Und der BGH stellte weiter fest, dass „die Eignung eines klinisch unauffälligen Pferdes für die gewöhnliche oder die vertraglich vor-ausgesetzte Verwendung als Reitpferd nicht schon dadurch beeinträchtigt ist, dass aufgrund von Abweichungen von der „physiologi-schen Norm“ eine lediglich geringe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass es zukünftig klinische Symptome entwickeln wird, die seiner Verwendung als Reitpferd entgegenstehen.“ Diese Rechtsauffassung hatte der Bundesgerichtshof bei ähnlichen Fällen auch schon in den Vorjahren vertreten. Anders ausgedrückt heißt das: Wenn ein Pferd z.B. Röntgenbefunde hat, die nur mit geringer Wahrscheinlichkeit irgendwann die Eignung als Reitpferd in Frage stellen, und dabei zur Zeit aber keinerlei klinische Auffälligkeiten zeigt (z.B. Lahmheit, Taktstörungen, etc), dann stellen solche Röntgenbefunde keinen „Mangel“ dar und rechtfertigen damit auch keine Reklamation.Lebewesen verändern sichUnd jetzt kommt ein weiterer ganz entscheidender Satz: „Diese Grundsätze gelten nicht nur für physiologische Abweichungen vom Idealzustand, sondern auch für ein vom Idealzustand abweichendes Verhalten, wie etwa sogenannte „Rittigkeitsprobleme“, wenn das Pferd nicht oder nicht optimal mit dem Reiter harmoniert und Widersetzlichkeiten zeigt.“ Das Gericht kommt zu dem Schluss, dass Rittigkeitsprobleme durch von einem Reitpferd gezeigte Widersetzlichkeiten keine Mangelerscheinung seien, sondern ein natürliches Risiko.Übersetzt bedeutet das, dass Probleme in der Rittigkeit zwar eine Abweichung vom Idealzustand darstellen, diese Abweichung aber eben einem Lebewesen grundsätzlich zugebilligt werden muss. Nach dieser Maßgabe sind Rittigkeitsprobleme selbst bei Vorliegen eines – nicht mit Krankheitssymptomen verbundenen – Kissing Spines-Befundes kein Sachmangel.Schon früher war höchst richterlich geklärt worden, dass ein Röntgenbefund „Kissing Spines“ allein, ohne klinische Symptome, nur eine Abweichung vom Normzustand zeigt, keinen Sachmangel darstellt und deshalb keine Reklamation begründet.

Rechtsanwälte Dr. Albrecht und Philipp Dalhoff, LohneDr. H. Meinardus

Nachgefragt

Weitreichendes Urteil

Ende Mai hat der Bundesgerichtshof (BGH) ein richtungsweisendes Grundsatzurteil gefällt, in dem endlich klargestellt wurde, dass die Rittigkeit eines Pferdes Veränderungen unterliegen kann. Und weil das Pferd ein Lebewesen (und keine Sache!) ist, liegt das Risiko einer möglichen Verschlechterung beim Käufer. Der Verkäufer kann für zukünftige Rittigkeitsprobleme, die der Käufer mit dem Pferd später eventuell hat, nicht verantwortlich gemacht werden. Das Urteil ist zweifellos ein Meilenstein. Möglich geworden ist das Urteil durch die Hartnäckigkeit des Präsidiums des Oldenburger Pferdezuchtverbandes, vertreten durch Präsident Wilhelm Weerda, Paul Schockemöhle, Gerd Sosath, Wilhelm Strohm und Dr. Albrecht Dalhoff. Ein einzelner Züchter oder Aussteller wäre wohl kaum in der Lage gewesen, dieses weitreichende Urteil, das Züchter und Pferdeverkäufer deutschlandweit aufatmen lässt, über alle Instanzen durchzustehen.Rechtsanwalt Dr. Albrecht Dalhoff, Präsidiumsmitglied des Oldenburger Pferdezuchtverbandes, hat zusammen mit seinem Sohn Philipp Dalhoff dieses Urteil für den Oldenburger Verband erstritten. Wir sprachen mit den Rechtsanwälten, wie es zu diesem Urteil gekommen ist und was es für die Züchter und die Pferdevermarktung bedeutet.Die Oldenburger Pferde-Vermarktungs GmbH – quasi der wirt-schaftliche Zweig des Oldenburger Pferdezuchtverbandes – hat der deutschen Pferdezucht einen großen Dienst damit erwiesen, diesen Fall bis in die letzte Instanz vor dem Bundesgerichtshof durchzufech-ten. Wie kam es dazu, dass der Streitfall vor dem Bundesgerichtshof entschieden werden musste?„Der dem Urteil des BGH zugrundeliegende Rechtsstreit war zunächst seit April 2015 vor dem Landgericht Oldenburg anhängig. Nachdem im Jahre 2017 das erste Urteil zugunsten der Oldenburger Pferde-Vermarktungs GmbH ausgegangen war, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg in der Berufung dann 2018 unter Abänderung des Urteils der ersten Instanz zugunsten der Klägerin. Das OLG ließ in seinem Urteil die Revision nicht zu, so dass im Herbst 2018 die sogenannte „Nichtzulassungsbeschwerde“ gegen das Urteil eingereicht wurde. Der BGH ließ dann im Mai 2019 die Revision gegen das Urteil des OLG Oldenburg zu. Die Zulassungsquote der Revision über eine Nichtzulassungsbeschwerde liegt übrigens bei weniger als fünf Prozent! Nachdem die Revision dann begründet wurde, kam es am 27.05.2020 zu dem richtungsweisenden Grundsatzurteil des BGH, der die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG Oldenburg zurückverwies.Ohne die Hartnäckigkeit der Oldenburger Pferde-Vermarktungs GmbH, die das streitgegenständliche Pferd in ihrer Eigenschaft als Kommissionär im Rahmen einer ihrer Auktionen verkauft hatte und für ihre Aussteller und Züchter geklärt wissen wollte, ob bei einem klinisch unauffälligen Pferd ein Rittigkeitsproblem die Rückabwicklung eines Kaufvertrages rechtfertigt, was der BGH nunmehr mit dem Grundsatzurteil verneinte, wäre es nicht zu der Entscheidung des BGH gekommen. Dem einzelnen Aussteller wäre es kaum möglich gewesen, einen mit derart hohem Zeit- und Kostenaufwand verbundenen Rechtsstreit bis zur letzten Instanz durchzufechten.“Zum besseren Verständnis: Welche Position nimmt bei Streitfragen zwischen Käufer und Verkäufer von Auktionspferden die Oldenburger-Vermarktungs GmbH ein?„Die Oldenburger Pferde-Vermarktungs GmbH tritt im Rahmen der Versteigerungen als Kommissionär auf. D.h. sie verkauft Pferde auf der Auktion im eigenen Namen für Rechnung der Aussteller. Vertragspartner der Käufer ist also die Oldenburger Pferde-Vermarktungs GmbH als Kommissionär. Dies gibt ihr die Möglichkeit, schon im Vorfeld zur Verhinderung eines Rechtsstreits eine gütliche Einigung zwischen Käufer und Aussteller herbeizuführen, was des Öfteren auch gelingt. Wenn es dann doch zu einem Rechtsstreit kommt und die Oldenburger Pferde-Vermarktungs GmbH unterliegt, hat sie einen Freistel-lungsanspruch, gerichtet auf Ausgleich der Forderungen des Käufers sowie der Prozesskosten gegen den Aussteller.“ Was bedeutet das Urteil im Hinblick darauf, dass häug Rittigkeitsprobleme, die sich irgendwann später einstellen, mit Röntgenbefunden des Rückens in Verbindung gebracht werden?„Das Urteil stellt klar, dass Rittigkeitsprobleme auch bei Vorliegen eines, allerdings nicht mit Krankheitssymptomen verbundenen, Kissing Spines-Befundes keinen Sachmangel im Sinne von § 434 BGB darstellen. Maßgebend für die Beurteilung der Frage, ob der Käufer einen Anspruch auf Rückabwicklung eines Kaufvertrages infolge eines solchen Befundes hat, ist, ob dieser Befund zum Zeitpunkt der Übergabe des Pferdes mit Krankheitssymptomen verbunden ist. Solange dies nicht der Fall ist, besteht kein Anspruch auf Rückabwicklung. Und selbst wenn eine geringe Wahrscheinlichkeit besteht, dass sich zukünftig klinische Symptome entwickeln, wird dadurch die Eignung des zunächst klinisch unauffälligen Pferdes für die Verwendung als Reitpferd nicht beeinträchtigt. Wenn also so ein Pferd nicht oder nicht optimal mit dem neuen Reiter harmoniert und Widersetzlich-keiten zeigt, rechtfertigt das allein keinen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages.“Befreit diese neue Rechtsprechung den Verkäufer von der Pflicht, eventuelle Befunde auf Kissing Spines dem Käufer vor dem Kauf mitzuteilen? „Obgleich der Befund Kissing Spines für sich gesehen nach der Entscheidung des BGH keinen Sachmangel darstellt, würden wir einem Verkäufer empfehlen, bei Kenntnis eines solchen Befundes den Käufer darüber zu informieren. Es sollte sich aber auf Dauer bei den Käufern herumsprechen, dass man Pferde mit Kissing Spines unbedenklich kaufen kann, wenn die Ankaufsuntersuchung darüber hinaus keine klinischen Befunde ergeben hat.“Kann man das Urteil der BGH-Richter, die dem Pferd als Lebewesen natürliche Veränderungen zubilligen und damit beispielsweise auch eine Verschlechterung der Rittigkeit, so auslegen, dass hinsichtlich der Rittigkeit wie früher gilt: Gekauft wie besehen bzw. wie probegeritten?„Das Urteil könnte man im Ergebnis hinsichtlich der Rittigkeit, soweit spätere Probleme nicht mit krankhaften Befunden nachweislich in Verbindung gebracht werden können, so verstehen.“Das Gespräch führte Dr.H.Meinardus

Quelle: 08/2020 OLDENBURGERinternational



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